Bringt mehr Training mehr?

Trainingsanpassung geschieht durch Erholung

Jeder Athlet, der auf irgendein sportliches Ziel hintrainiert kennt das: Training soll einen bestimmten Reiz im Körper auslösen, was schlussendlich eine Anpassung auf physiologischer Ebene zur Folge haben sollte. Einfach gesagt, soll sich der Körper durch einen regelmässigen Stimulus anpassen und leistungsfähiger werden. Dies geschieht jedoch nicht im Training selbst sondern in der Phase der Erholung.

Dieser recht einfache Grundsatz wird im theoretischen Modell der Superkompensation beschrieben: Reiz (Training) = Anpassung (Erholung) = Verbesserung

Die Superkompensation beschreibt das Prinzip der körperlichen Reaktion und schlussendlichen Überkompensation auf einen Trainingsreiz. Dieses Modell ist jedoch lediglich eine theoretische Herleitung – die Realität ist um Einiges vielschichtiger.
Quelle: Training fundiert erklärt, Hegner, 2020

In der Praxis stellt dies jedoch oftmals eine Herausforderung dar, da jeder Mensch andere Voraussetzungen mit sich bringt und damit auch unterschiedlich stark auf Trainingsreize reagiert. Wann ist also der Reiz verarbeitet und wann ist der richtige Zeitpunkt für den nächsten Impuls? Im schlimmsten Fall verfehlt ein Trainingsreiz das gewünschte Ziel und bringt sogar rückläufige Entwicklungen mit sich. Dies kann im Wesentlichen folgende zwei Gründe haben:

  1. Zu viele Trainingsreize in zu kurzer Zeit
  2. Fehlende Erholung (bspw. fehlender Schlaf und schlechte Ernährung)

Von akuter Ermüdung zu funktionalem Übertraining

Ein Trainer strebt bei einem Athleten mit dem optimalen Verhältnis zwischen Belastung und Erholung eine Steigerung der Leistungsfähigkeit an.

Im Kleinen kann also das Training als kurzfristiger Overload und damit akute Ermüdung betrachtet werden. Die dadurch akkumulierten Reize müssen nun vom Körper durch genügend Erholung verarbeitet werden, damit eine Anpassung stattfinden kann.

Teilweise versucht der Trainer noch einen Schritt weiterzugehen: Mit dem funktionalen Übertraining wird die erste, jedoch bewusst eingesetzte Stufe des Übertrainings bezeichnet. Diese kann bei anschliessend genügend Erholung zu einem zusätzlichen und gewünschten Trainingseffekt führen. Wenn man beispielsweise nach einer normalen Trainingsphase im gewohnten Umfang einen umfangreicheren oder intensiveren Trainingsblock einstreut, wird der Körper kurzfristig überfordert, was ihn zu zusätzlichen Adaptionen zwingt. Die daraus resultierende hohe Ermüdung führt vorübergehend zu einem kalkulierten Formverlust. Der Körper braucht nun zwingend genügend Erholung, um die Reize zu verarbeiten und die Form steigern zu können. Dies wird beispielsweise vor wichtigen Wettkämpfen als Methode eingesetzt.

Während die kurzfristige Ermüdung und der Formverlust gewollt sind, kommt irgendwann der Moment, an welchem sich Belastung und Entlastung nicht mehr die Waage halten und man in die Gefahr eines Übertrainingssyndroms läuft. Die Konsequenzen davon können mehrwöchige oder sogar -monatige Pausen sein.

Quelle: Hottenrott & Gronwald, 2014

Vorsicht vor zu viel Training

Der Grat zwischen optimalem und zu viel Training bzw. einem Übertrainingssyndrom ist oftmals ein ziemlich schmaler. Zudem gibt es Aspekte ausserhalb des Trainings wie beispielsweise konstanter psychischer Stress oder ein ungesunder Lebensstil, welche ein nicht funktionales Übertraining bzw. Übertrainingssyndrom begünstigen können. Dies kann sich durch folgende Erscheinungen zeigen:

  • Verminderte Leistungsfähigkeit
  • Gereiztheit
  • Schlafstörungen
  • Erhöhte Ruheherzfrequenz
  • Erhöhter Blutdruck in Ruhe
  • Erhöhte Infektanfälligkeit
  • Tiefere maximale Laktatwerte
  • Tiefere maximale Herzfrequenz

Praktische Konsequenzen

Der Ausdruck «viel hilft viel» ist meiner Ansicht nach eine Halbwahrheit, welche mit Vorsicht zu geniessen ist. Es gibt nicht dasjenige Trainingskonzept bzw. das Trainingsvolumen, welches für alle und jede/n gleichermassen passt. Gerade auch deswegen sind Vergleiche des eigenen Trainingsplans mit dem von anderen Athleten heikel. Ob die Trainings bzw. das Belastungsmanagement funktionieren, zeigt sich in erster Linie in den Wettkampfresultaten und einer guten Gesundheit. Steigen krankheits- oder verletzungsbedingte Ausfälle, muss man sich die Frage nach dem Gleichgewicht stellen.

Um ein Gefühl für den eigenen, akuten (Erholungs)zustand zu erhalten bzw. Tendenzen zu erkennen, können im Trainingsalltag zwei einfache subjektive Parameter zur Überprüfung genutzt werden:

Ruheherzfrequenz

Die Ruheherzfrequenz kann genutzt werden, um Tendenzen für mangelnde Erholung oder auch Infekte zu erkennen. Wenn die Ruheherzfrequenz über einen längeren Zeitraum erhöht bleibt, ca. +/- 5 Schläge pro Minute mehr, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass der Körper überlastet ist oder sich ein Infekt im Anmarsch befindet. Über das Ausmass kann jedoch nur spekuliert werden. Es gilt in diesem Fall jedoch nicht stur nach Plan weiter zu trainieren sondern nach dem Prinzip «weniger ist mehr» zu verfahren oder gar eine Pause einzulegen. 

Andere Faktoren wie zu wenig Schlaf, Alkohol oder auch Koffein lassen die Ruheherzfrequenz ebenfalls kurzfristig ansteigen, was jedoch natürlich nicht mit einem Übertraining in Verbindung gebracht werden kann.

RPE-Skala (ratings of perceived exertion)

Eine einfache und praktikable Methode, um gewisse Tendenzen zu erkennen, ist die RPE-Skala, mit welcher ein absolviertes Training aufgrund der wahrgenommenen Intensität bewertet werden kann. Stellt der Athlet über einen längeren Zeitraum fest, dass sich beispielsweise lockere Grundlageneinheiten im gewohnten Tempo intensiver anfühlen als normal, kann auch dies als Indikator für mangelnde Erholung interpretiert werden. Auch hier muss das jedoch im Kontext, beispielsweise durch äussere Einflüsse wie das Wetter, betrachtet werden.

Alles in allem ist der Trainingsprozess immer eine Zusammenarbeit zwischen Athlet/in und Trainer. Deswegen auf gut Berndeutsch: «Zäme schnure» ist in jedem Fall das Beste Werkzeug.

Quellen

Banister EW, Carter JB, Zarkadas PC. Training theory and taper: validation in triathlon athletes. Eur J Appl Physiol Occup Physiol. 1999 Jan;79(2):182-91. doi: 10.1007/s004210050493. PMID: 10029340.

Roete AJ, Elferink-Gemser MT, Otter RTA, Stoter IK, Lamberts RP. A Systematic Review on Markers of Functional Overreaching in Endurance Athletes. Int J Sports Physiol Perform. 2021 Aug 1;16(8):1065–1073. doi: 10.1123/ijspp.2021-0024. Epub 2021 Jun 8. PMID: 34108275.
 
Hottenrott K., Neumann G., (2016), Das grosse Buch vom Laufen, 3. Auflage