Grundlage ist Trumpf
Mut zum Detraining
Nach dem Saisonfinale in Zofingen war ich erst einmal platt. An geregeltes Training wollte und konnte ich nicht mehr denken. Ganz im Gegenteil: Ich benötigte dringend Abstand von Trainingswerten, Rennstrategien und Wettkampfernährung.
So verbrachte ich einen Monat nach dem Lust-und-Laune-Prinzip und gönnte mir auch eine längere lauffreie Zeit. Dass mir das Training zu keinem Zeitpunkt fehlte, zeigte mir vor allem auch, dass ich mental zu dem Zeitpunkt wirklich leer war. So kam das kleine Wanderprojekt meiner Frau und mir gerade recht: Gemeinsam durchquerten wir zu Fuss das Emmental in vier Tagen. Eine gute Ausrüstung wäre ja eigentlich auch hier wünschenswert, allerdings zerfielen meine Wanderschuhe bereits am ersten Tag in sämtliche Einzelteile. Irgendwie sinnbildlich: Lag der Fokus materialtechnisch in den letzten Wochen an anderen Orten.
Auf jeden Fall spürte ich deutlich wie mir der Abstand zu allem Kompetitiven enorm guttat und ich meine nahe am Nullpunkt angelangten Batterien wieder aufladen konnte.
Als ich dann trotzdem wieder mal in die Laufschuhe schlüpfte und ein paar Kilometer lief, fühlte sich das beinahe etwas fremd an. So schnell geht das eben.
Grundlage, Grundlage und nochmals Grundlage
Der Einstieg ins Wintertraining brachte erneut ein paar kleine Anpassungen mit sich: So weitete ich das Schwimmen auf drei Einheiten pro Woche aus. Nach wie vor muss ich mich da teils etwas überwinden, aber ich bin fest davon überzeugt, dass ich stark von dieser Investition profitiere. In den letzten Wochen fanden sich zudem keine intensiven oder gar hochintensiven Einheiten in der Planung. Harte Belastungen oder längere Intervallserien waren eine Fehlanzeige. Das höchste der Gefühle waren einmal pro Woche ein paar schnelle 200er-Läufe auf der Bahn. Stumpfe, regelmässige Grundlageneinheiten (ergänzt mit kleinen Zusatzaufgaben) sind und bleiben neben der Konstanz dasjenige Trainingsmittel schlechthin im Ausdauersport. Auch wenn das in HIT-Zeiten nicht mehr sehr zeitgemäss erscheint. Ich werde bei anderer Gelegenheit auf dieses Thema zurückkommen.
Mit dem Gravelbike durch den viel zu warmen Spätherbst.
Berglauf Nummer 1: Jeizibärg-Lauf
Bergläufe reizen mich seit jeher, finden aber leider nicht immer Platz im Rennkalender. Anders in der aktuellen Phase. So nahm ich mir vor, ein paar dieser «vertikal orientierten» Läufe ins Training einzubauen. Den Anfang machte der Jeizibärg-Lauf im Wallis. Die Strecke ist im Prinzip simpel, hat es aber in sich: Von Gampel gerade in den Berg hinein und 885 Höhenmeter auf einer Strecke von 6km überwinden, was einer durchschnittlichen Steigung von 15 % entspricht. Ziel ist das Bergdorf Jeizinen.
Mein Schwager Patrick liess sich ebenfalls dazu hinreissen, den Jeizibärg-Lauf zu absolvieren.
«Just for fun» war das Motto. Nach zwei Wochen Training darf man keine Wunder erwarten, aber auf ein wettkampfmässiges Training hatte ich trotzdem echt Bock.
Einlaufen, kurze Wortwechsel mit ein paar bekannten Gesichtern und dann ging es auch schon los. Zu meinem Erstaunen führte ich die Spitze im kurzen Flachstück dann trotzdem an und lief als Erster in den brutalen Aufstieg hinein. Ziemlich schnell bekam ich aber zu spüren, dass mir die PS momentan klar fehlten. Vorne zogen Werner Marti, Mitglied der Skitourennationalmannschaft, und der starke Walliser Bergläufer Alain Lagger davon. Ich sicherte mir bald den 5. Platz gegen hinten ab, hatte aber weder den Kopf noch die Beine, um nach vorne irgendwas ausrichten zu können. Schliesslich lief ich in 39.07 in Jeizinen ein, wobei die letzten Meter durch das Dorf trotz (oder gerade wegen) der unglaublich steilen Rampen sehr stimmungsvoll waren. Gefühlt war das ganze Dorf am Streckenrand und schrie die Läufer/innen ins Ziel. Fazit: Ein Hoch auf solche kleinen, familiären Veranstaltungen!
Berglauf Nummer 2: Gurtenclassic 15km
Vor zwei Jahren nahm ich zum ersten Mal an diesem Klassiker auf den Berner Hausberg teil. Die sehr selektive Strecke mit 550 Höhenmeter auf 15km verteilt war mir trotz einem undankbaren 4. Platz von 2021 in guter Erinnerung. So wollte ich auch hier, nach unterdessen vier Trainingswochen, eine weitere wettkampfmässige Einheit absolvieren. Ich fühlte mich deutlich besser als noch vor zwei Wochen und ging den Einsatz bereits ein bisschen fokussierter an. Auf der Startliste standen mit Mekonen Tefera und Christian Leu zwei sehr starke Läufer, mit welchen ich ganz vorne rechnete. Mit einem guten Rennen könnte jedoch vielleicht ein Podestplatz für mich in Reichweite liegen.
Von Beginn weg reihte ich mich an der Spitze ein, ohne jedoch mehr zu pushen als nötig. Eigentlich rechnete ich damit, dass ich nach dem ersten Anstieg in Richtung Spiegel die Führung los sein würde. Tatsächlich aber führte ich die sechs Mann grosse Gruppe weiterhin an. Ich merkte zu diesem Zeitpunkt auch, dass sich die Beine hervorragend anfühlten, und so zog ich einfach mein Tempo von der Spitze her weiter durch. Beim ersten richtig giftigen Anstieg zerfiel die Gruppe und vorne bildeten Tefera, Leu und ich nun ein Trio. Die beiden Mitstreiter machten jedoch keine Anstalten, um die Führung zu übernehmen und so lief ich konstant weiter. Mal nahm ich etwas Tempo raus, mal drückte ich wieder ein bisschen mehr. Hin und wieder warf ich einen Blick zurück um mir ein Bild über den Zustand der beiden zu machen und den Abstand auf die Verfolger zu kontrollieren. Gleichzeitig begann ich mir nun ein Szenario für die finalen Kilometer zurechtzulegen und versuchte mich mental auf das wohl sehr harte Finale einzustimmen. Es sollte sich auszahlen.
Bis zum Beginn des 3km langen Schlussaufstieges führte ich die Gruppe durchgehend an. Kurz später reihte ich mich dann hinten ein und musste extrem um den Anschluss kämpfen.
Als wir in den langen Schlussaufstieg vom Köniztal auf den Gurten hineinliefen, zeigte sich nun definitiv, dass nach hinten die Sache gelaufen zu sein schien und wir drei das Podest unter uns aufteilen werden. Nun übernahm Tefera mitten in der Steigung bei km12 die Führung und nach einem kurzen gegenseitigen, mündlichen pushen (in meinem Fall eher keuchen), heftete ich mich an seine Fersen. Da keine wirkliche Tempoverschärfung passierte, nutzte ich die Phase, um mich kurz etwas zu «erholen» bzw. zu sammeln. Je länger die Steigung jedoch ging, umso mehr musste ich arbeiten, um die Pace halten zu können. Es wäre nun einfach gewesen, mich mit einem durchaus guten 3. Rang zu begnügen und den Schmerzen auszuweichen, aber stattdessen besann ich mich auf eines meiner Szenarien, welches einzutreffen schien. Dieses sah vor, alles reinzuwerfen um dranzubleiben und am letzten kleinen Anstieg, rund 500m vor dem Ziel mit einem Antritt mein Glück zu versuchen.
Als wir auf den letzten Kilometer einbogen, lief ich im hochroten Bereich und prompt ging langsam eine kleine Lücke von vielleicht 3-4m auf. Diesen Abstand konnte ich auf der kurzen Fläche jedoch halten und sog mich kurz vor dem ca. 20m hohen Anstieg auf die Gurten-Spitze wieder heran. Dann zog ich das Tempo an und feuerte mit allem, was der Tank noch hergab. Ich wuchtete diese kleine Steigung hinauf und realisierte, dass ich Meter um Meter davonzog.
500m vor dem Ziel setzte ich kurz vor der letzten Steigung zum langgezogenen Schlusssprint an. Ich hatte das Momentum auf meiner Seite und konnte die Lücke aufreissen.
Oben beim Kulminationspunkt, rund 200m vor dem Ziel, stand Andreas Ammann, vor Jahresfrist beim Gondorun ein Gegner, mit dem mich eine ganz spezielle Geschichte verbindet. Er feuerte mich lauthals an und pushte mich die letzten Meter hinauf. Erst in diesem Moment realisierte ich, dass ich das Rennen tatsächlich gewinnen kann. In der Hoffnung, dass meine völlig übersäuerten Beine auf den letzten abwärts laufenden Metern nicht noch den Dienst quittierten, rannte ich dem Ziel entgegen. Auf der berühmten RPE-Skala (Intensitätsskala von 1-10) wäre es in dem Moment eine 11 gewesen.
Ich getraute mich erst kurz vor dem Ziel an den Sieg zu glauben. Was für ein Moment!
Kurz vor dem Überqueren der Ziellinie warf ich einen Blick auf die Zeitmessung neben dem Zielbogen und sah, dass ich die Stundenschallmauer mit 59.50 knapp knacken konnte. Staunen, Ungläubigkeit, Glück! Es war wohl von allem etwas dabei. Am Schönsten ist es eben dann, wenn man nicht damit rechnet und sich selbst überrascht.
Woher dieser kleine Exploit kam? Ich habe drei Erklärungen:
- Grundlagentraining (und dazu gehört über weite Strecken auch das Schwimmen) richtig ausgeführt macht dich auch schneller bzw. ausdauernder. Und nein, HIT alleine ist eben nicht die ganze Wahrheit, sondern stösst irgendwann auch an seine Grenzen.
- Der Kopf war nach der Trainingspause wieder zu 100% einsatzbereit.
- Die Tagesform und der Rennverlauf spielten mir in die Karten.
Mit einem breiten Grinsen werde ich nun die kommenden Wochen in Angriff nehmen, bevor es dann erneut in wärmere Gefilde gehen wird.
Und zu guter Letzt: Danke Gurtenclassic für den Bericht!
Hast du eine sportliche Vision, welche du verfolgen möchtest, bist dir aber nicht sicher,
wie du diese angehen sollst?