Ironman Thun - Erfolg oder Niederlage?
Gesund werden statt trainieren
Nach dem Rennen ist bekanntlich vor dem Rennen. So schön der Erfolg in Würzburg auch war, so schnell wollte ich auch wieder in die Trainingsroutine reinfinden. Trotzdem hat mir der Wettkampf gezeigt, dass die Form echt gut ist und der Ironman Thun damit kommen konnte. Selten konnte ich ein Rennen so kontrolliert von A bis Z durchziehen und sogar mit etwas Reserve ins Ziel laufen.
Wer jedoch meine Strava-Aktivitäten ab und zu mitverfolgt, wird jedoch gemerkt haben, dass plötzlich nicht mehr allzu viel an Einheiten auftauchten. Das war zum Einen der finalen Phase geschuldet zum Anderen auch einer elend mühsamen Erkältung, welche ich mir kurz nach Würzburg, trotz aller Vorsicht, einfing. Vor allem der Husten und die bis dato nicht ganz weggebrachten Halsschmerzen waren nervtötend.
Es hiess im wahrsten Sinne des Wortes abwarten und Tee trinken. Eine gute Woche vor dem Ironman Thun, wagte ich mich ein erstes Mal wieder an leicht erhöhte Intensitäten heran. Es wurde nach und nach besser, dennoch hoffte ich auf eine Art Turbo-Genesung in den letzten 10 Tagen. Um die Form selbst hingegen machte ich mir keine Sorgen. Und ganz ehrlich: Lieber jetzt eine Erkältung als vor ein paar Wochen. Damit waren zumindest die «Trainingshausaufgaben» gemacht. Insofern fühlte ich mich also zu 100% bereit für das Ironman-Debut.
In der letzten Folge unserer «Way to Ironman Thun»-Serie rekapitulieren Dan Aeschlimann und ich den Rennverlauf.
Tag X
Ich kann mich noch gut erinnern, als ich vor rund 5 Jahren einen Zeitungsartikel mit der Nachricht las, dass der Ironman Switzerland nach Thun kommt. Schon damals dachte ich, dass ich als Thuner ja eigentlich verpflichtet bin, diesen eines Tages zu absolvieren. Als seinerzeit expliziter «Nichtschwimmer», schienen mir 3.8km im offenen Gewässer jedoch etwas gar lang. Und als ob ich es geahnt hätte, sollte das Schwimmen bei der Triathlon-Langdistanz Premiere tatsächlich eine sehr entscheidende Rolle spielen.
Und nun war der Tag also tatsächlich da. Der Tag um den sich in den vergangenen Monaten so Vieles gedreht hatte. Ich war zugegebenermassen echt froh, dass es endlich los ging und freute mich, meine «Form des Lebens» unter Beweis zu stellen.
Mit einem etwas bangen Blick beobachtete ich fast die ganze Woche die Wetterprognosen. Es schienen zumindest von den Lufttemperaturen ideale Bedingungen zu werden – der See war jedoch mit knappen 16 Grad sehr kühl. Bis zuletzt war ich mir nicht ganz sicher, ob die Schwimmstrecke aufgrund der Prognosen und den kalten Bedingungen wirklich über die volle Distanz führen würde.
Im strömenden Regen aus dem Thunersee in die Wechselzone. In dem Moment war der Körper im Automodus.
Schwimmen, 3.8km
Am Sonntagmorgen kam dann die Gewissheit: Volle Länge der Schwimmstrecke! Da ich mich auf das eingestellt und ich mich am Freitag an den See akklimatisiert hatte, wusste ich, was mich erwarten würde. Aber klar, es gibt Schöneres als sich um 6:30 Uhr in den kalten Thunersee zu stürzen.
Bereits ab 5:30 Uhr bildete sich ein riesengrosser Pulk vor dem Strandbad Thun, welches offenbar erst um 6 Uhr geöffnet wurde. So unglücklich dies organisatorisch auch war, so wenig Verständnis habe ich für die Aggressionen gewisser Athleten gegenüber den Helfern, welche ja definitiv nichts dafürkonnten. Das ist einer der Unterschiede zwischen Ironman und den kleineren Veranstaltungen: es ist ein viel grösserer Stresslevel und deutlich mehr unnötige Rangelei dabei.
Wie dem auch sei: Aufgrund meiner Schwimmleistung in Würzburg und den Trainingsresultaten ordnete ich mich in die Sub65-Gruppe ein. Auf das Einschwimmen im See verzichtete ich aufgrund der Bedingungen – zudem verzögerte sich der Start um 15 Minuten. Das Einlaufen an Land musste also reichen und machte aus meiner Sicht bei den schlechten Wetterbedingungen mehr Sinn. Um der Kälte etwas entgegenzusetzen zog ich zwei Schwimmkappen an. Viele Athleten schwammen gar mit Neoprenhaube.
Dann ging es plötzlich schnell und alle paar Sekunden wurden die Athleten gestaffelt auf die Reise geschickt. Ein letzter Blickkontakt mit meiner Frau, der keine Worte mehr brauchte: Zeig was du draufhast! Fest entschlossen meine super Form auszuspielen, stürzte ich mich in den trüben Thunersee.

Ich bin endlos dankbar über den stetigen Support meiner Frau Nadia – ohne sie würde vieles nicht gehen!
Ich zog in der Tendenz nach links weg, um mich aus dem Getümmel rauszuhalten. Ich war wohl noch keine 200m weit geschwommen als von einem Moment auf den anderen mein gesamter Körper versagte. Ich bekam plötzlich keine Luft mehr und es wurde mir schwindelig. Es stieg innerhalb weniger Sekunden die totale Panik auf und ich wusste nicht was mit mir geschieht. Ich war unfähig zu kraulen, wie wenn die Signale nicht mehr in der Muskulatur ankommen würden. Links und rechts wurde ich von Athleten überholt, während ich mich mit knappen Brustzügen über Wasser hielt. Langsam realisierte ich, dass dies eine Art Panikattacke ist. Ich hielt Ausschau nach den begleitenden Personen auf den Surfbrettern, um das Rennen jederzeit beenden zu können. Mir war trotz der Scheisssituation bewusst, dass diese Attacke sich auch wieder legen würde, und ich versuchte mich über die Atmung nach und nach wieder zu fangen. Es ging also in dem Moment nicht um Leistung, sondern darum, wieder die Oberhand über mich zu gewinnen. Nach einer gefühlten Ewigkeit versuchte ich es mit ein paar Kraulzügen. No way, also wieder zurück zum Brustschwimmen. So ging es noch eine Zeit lang weiter. Irgendwann kamen dann endlich meine Kräfte zurück und ich merkte, wie sich die Panik nach und nach legte. In dem Moment passierte ich die erste Boje und lass auf der Markierung, dass ich gerade erst 300m weit gekommen war. Es wurden also sehr lange 3.8km in «meinem» See. Obwohl das Wasser weiter draussen im See spürbar kälter und sicher keine 16 Grad war, machte mir die Kälte nichts aus.

Auf Rang 232 und mit über 15 Minuten Rückstand ging es bei sintflutartigem Regen auf die 180km lange Bikestrecke.
Bike, 180km – 2000 Höhenmeter
Beim Herauslaufen aus der Wechselzone schrie mir Nadia den Rückstand auf die Spitze zu: zwischen 14 und 15 Minuten. Ich war in dem Moment etwas überrascht, dass ich trotz allem nicht mehr verloren habe. Plusminus 10min hatte ich budgetiert, nun hiess es also mit der Hypothek klarzukommen.
Erfreulicherweise fühlten sich meine Beine sehr gut an und ich fand von Beginn weg einen soliden Rhythmus. Flach pendelte ich mich bei 260-270 Watt ein, bergauf ging es in Richtung 300 Watt. Da ich vom Radkurs jeden Zentimeter genaustens kannte, hatte ich gewisse Anhaltspunkte bezüglich der Geschwindigkeit bzw. konnte genau einschätzen, wie schnell ich unterwegs war. Trotz guten Beinen, aerodynamisch optimiertem Material und den konstanten Wattwerten, merkte ich schnell, dass mit den kühlen und nassen Bedingungen keine Spitzenzeiten möglich waren. Die Auswertung im Nachgang zeigte mir das deutlich auf: Noch am Samstag fuhr ich beim Anreizen gewisse Abschnitte mit weniger Aufwand schneller.

Nach 60km lag der Rückstand immer noch bei 14:30min. Auf der ersten Radrunde fuhr ich eher defensiv, konnte mich aber dennoch auf Rang 32 vorarbeiten. Ich ahnte jedoch, dass sich die verlorene Verpflegung auf der zweiten Velorunde vielleicht rächen würde.
Nichtsdestotrotz fand ich auf den unebenen und eher holprigen ersten 20km gut in den Flow hinein. In dieser Phase fuhr ich fast durchgehend links und überholte Athleten um Athleten. Im strömenden Regen war eine gewisse Vorsicht geboten – vor allem bei den Abzweigungen fuhr ich wie auf Eiern. Nach 15km kurz vor Uetendorf vernahm ich ein Scheppern, konnte dies jedoch nicht einordnen, da ich gleichzeitig am Überholen war. Ein paar hundert Meter weiter zeigte mir ein Blick nach unten, was es war: Die Hälfte meiner Verpflegung war weg. Was in hunderten von Trainings funktionierte, ging ausgerechnet heute schief. Umdrehen war zu spät, also begann ich umgehend an einem Plan B herumzubasteln: Die Maurtengels, welche bei den Verpflegungsposten angeboten wurden, hatte ich im Vorfeld getestet. Es war nun also Kopfrechnen angesagt: Pro Stunde kalkulierte ich ca. 100g Kohlenhydrate, welche ich aufnehmen wollte. Ein Gel beinhaltete genau 40g Kohlenhydrate. Das bedeutete, dass ich abzüglich dem, was ich auf den ersten Kilometern bereits konsumieren konnte, auf der restlichen Velorunde rund 5-6 dieser Gels einwerfen musste. Das würde bei 3 Verpflegungsstationen logistisch nicht ganz einfach werden, konnte aber mit einem ergänzenden Elektrolytgetränk knapp aufgehen.

Bei km 170 spürte ich die Geschehnisse des bisherigen Rennverlaufs deutlich. Ich hoffte aber meine Laufbeine zu finden und beim Marathon noch an Boden gutzumachen.
Kurz vor der ersten Verpflegungsstation bei km25 stand meine Mutter, welche mich über den Rückstand informierte. Tatsächlich hatte ich seit Thun keine Zeit mehr verloren, sondern konnte die Lücke konstant halten. Bei der nächsten Zwischenzeit bei km70 das gleiche Bild: Konstant bei 14min hinter der Spitze und unterdessen von Rang 232 nach dem Schwimmen in die Top50 vorgefahren. Weiterhin hatte ich gute Beine, allerdings brachte ich nicht ganz die Menge an Gels hinein, welche ich ausgerechnet hatte. Es sollte am Ende ein Defizit von über 100g bleiben.
Nach 90km bei der Wende auf die zweite Runde erhielt ich die Bestätigung des Rückstandes. Der Fahrplan passte nach wie vor gut. Ob ich dort bereits das kleine Defizit der Kohlenhydrate (und dem Natrium) zu spüren bekam oder ob es die Nachwehen der Panikattacke waren sei dahingestellt: Nach 110km wurde mir leicht schwindlig und ein Taubheitsgefühl machte sich im Gesicht breit. Ein Blick auf den Puls verriet mir jedoch, dass ich wohl in keiner Unterzuckerung sein konnte, da dieser konstant und im Sollbereich lag. Ich hatte plötzlich Mühe die Leistung zu halten und begann nun ein erstes Mal etwas zu hadern. Bei jeder, und damit meine ich wirklich jeder langen und intensiven Trainingsfahrt hatte ich nie gross mit Einbrüchen zu kämpfen. Es blieb mir nichts anderes übrig als mich auch hier mit der Situation zu arrangieren. Mit einem eher zähen Rhythmus kämpfte ich mich durch die verbleibenden Kilometer und bekam von den Supportern das Gefühl bestätigt: Der Rückstand wuchs in der zweiten Runde auf total 30min an. Für mich war dieser zweite Schwächeanfall, ehrlich gesagt, sehr frustrierend. Trotzdem, und das ist das sehr Überraschende, kam ich mit der 13besten Velozeit in die Wechselzone, immer noch in den Top30 klassiert.

Beim Hinauslaufen aus der Wechselzone war ich guter Dinge, den Rennverlauf noch etwas drehen zu können.
Laufen, 42km
Mit müden aber immer noch einigermassen passablen Beinen machte ich mich auf den abschliessenden Marathon. Mit dem Wissen, dass vorgängig der Verpflegungsplan alles andere als funktioniert hat, blieb der Unsicherheitsfaktor. Wie lange würden die Beine mitmachen? Wie lange würde die Energie noch ausreichen? Das Pacing sah vor, den Marathon auf unter 3 Stunden anzulaufen. Ich beschloss kurzerhand das Risiko einzugehen, am bestehenden Rennplan festzuhalten und allenfalls auch zu explodieren. Ich lief wie im Film durch das Lachenstadion, den Bonstettenpark, dem Strandweg entlang bis in die Innenstadt. Die Strecke so genau zu kennen war hilfreich und hart zugleich. Du weisst, wo du bist, aber auch was noch vor dir liegt.

Trotz der super Stimmung in der Stadt und meinen vielen Supportern, ging mir nach der ersten Laufrunde der Saft aus. Der Tag und die Geschehnisse schienen zu viel Energie gekostet zu haben.
Bis km10 konnte ich das anvisierte Tempo einigermassen halten. Danach kam zwar nicht der Kapitaleinbruch, aber ich wurde langsamer und langsamer. Die Unterstützung, welche ich am Streckenrand von Familie, Freunden und Bekannten erhielt, war schlichtweg unglaublich. So war es vor allem auf der Kleistinsel beim Bahnhof und in der Thuner Innenstadt ein wahres Heimspiel.
Familie und Freunde entlang der Strecke machten den Marathon etwas einfacher.
Dennoch begann ab dem Halbmarathon das grosse Leiden und die Kilometer zogen sich dahin. Vom Streckenrand erhielt ich weiterhin zuverlässig die Info, dass ich mich konstant in den Top30 hielt und in der Tendenz trotz miserablem Gefühl Ränge gutmachte. Nach 9:34 Stunden lief ich dann endlich im Ziel ein. Endlos müde beschreibt den Zustand wohl am Besten. Und ja, ich gebe zu, dass ich auch etwas stolz war. Nicht über den Rang oder die Zeit, sondern vielmehr darüber, dass ich trotz einer Grenzerfahrung im Thunersee und eines rennentscheidenden Missgeschicks mit der Verpflegung den Weg bis zum Ende gegangen bin.
Und schliesslich doch noch im Ziel. Einfach etwas später als gedacht 😉
Fazit & Ausblick
Dass ich in meiner Alterskategorie den Schweizermeistertitel holte, realisierte ich erst einen Tag später – zugegebenermassen ein schwacher Trost. Ich kam mit anderen Zielen an mein Heimrennen.
Die Vorzeichen und Wettkampfleistungen der letzten Monate zeigten klar, dass ich in Thun tatsächlich etwas reissen könnte. Ich wollte angreifen und meine Rad- und Laufstärke ausspielen und möglichst nahe an die 9 Stunden herankommen was einem Top 5-Ergebnis entsprochen hätte. Aber eben: «Hätte». Es heisst nicht umsonst, dass Langdistanz-Triathlon eine «Fehlervermeidungssportart» sei. Zwei grosse Puzzleteile haben leider nicht ineinandergegriffen. Was in Würzburg funktioniert hat, ging hier nicht auf. So ist das halt.
Trotzdem oder gerade deswegen bin ich nebst der Enttäuschung aber auch dankbar für das, was ich an diesem langen Tag alles dazu lernen durfte.
Das grösste Merci gebührt den vielen Menschen, welche mich durch den Tag begleitet haben und jederzeit zu 200% hinter mir standen. Damit habt ihr mir das Rennen einmalig werden lassen!
In diesem Sinne: Keep going!
Bilder: sportograf.com, mysport.ch, tripl3.ch, eigene
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