Powerman Zofingen, Duathlon Langdistanz Weltmeisterschaft 2021
Ein langer Weg an die WM
Es ist irgendwie verrückt: 2017 stand ich das erste Mal in Zofingen auf der Shortdistance am Start. Mit einem normalen Rennvelo, grossem Respekt vor all den Top-Athleten und, trotz allem, einer riesigen Portion Kampfgeist. Die Faszination und Leidenschaft welche ich damals dem Duathlon gegenüber entwickelte prägten die vergangenen 4 Jahre und sollten mich schliesslich 11 Jahre nach meinem letzten Einsatz im Schweizertrikot (ich glaube, es war damals im Rahmen der Nations Challenge bei Weltklasse Zürich über 400m Hürden) wieder in den Schweizer Farben starten lassen.
Der Mythos von Zofingen
Die Schweizermeisterschaften in Locarno über die Mitteldistanz waren eine hervorragende Hauptprobe hinsichtlich der Weltmeisterschaft über die Langdistanz am prestigeträchtigen Powerman Zofingen. Was für die Triathleten Hawaii ist, stellt Zofingen für die Duathleten dar.
Die Daten zum diesjährigen Powerman Zofingen sind wie folgt:
Run 1: 9.2km, +/-200Hm
Bike: 142km, +/-1800Hm
Run 2: 24.5km, +/-580Hm
Während der stark kupierte erste Lauf traditionsgemäss immer auf der gleichen Strecke stattfindet, versprach der abschliessende zweite Lauf eine Berg- und Talfahrt inkl. vielen Geländeabschnitten zu werden. Ich freute mich im Vorfeld ungemein den „Mythos von Zofingen“ selber zu erleben, allerdings war mir auch sehr wohl bewusst, dass ich mich an der WM auf mir unbekanntes Terrain begebe. Da mich swissduathlon für das Elitefeld selektionierte, war ich jedoch doppelt motiviert und bereitete mich sehr akribisch auf den Tag X vor.
Bereits am Freitagabend reiste ich mit meiner Frau nach Zofingen, da die Elite-Athleten dort zum Corona-Test inkl. Check-In aufgeboten wurden. Teamintern wurden auch noch kurz die Gegner besprochen, so dass ich mir ein recht gutes Bild von möglichen Rennverläufen machen konnte.
Im Verlaufe des Samstages kam die Nervosität wellenartig daher. Dazu registrierte ich mit zunehmender Besorgnis wie die Wetterprognose für den Sonntag im Minutentakt schlechter und schlechter wurde. Es sollte jedoch noch viel schlimmer werden als befürchtet…
Kurz vor dem Start war das Lachen noch gross. Der grösste Dank gebührt meiner Frau, welche mich von A bis Z unterstützt.
Die Sache mit den Kohlenhydraten
Oft stellt sich ein Athlet die Frage nach der Kohlenhydrataufnahme während des Wettkampfes. Die folgende Tabelle fast eine generelle Einordnung sehr gut zusammen:
- > 45 Minuten –> keine Kohlenhydrate notwendig
- 45 – 75 Minuten –> kleine Mengen, Mundspülung
- 1 – 2.5 Stunden –> ca. 30–60 g/h
- > 2.5 Stunden –> bis zu 90 g/h
Dabei sollte auf die Einnahme von Monosacchariden (Glucose und Fructose) geachtet werden.
Man erkennt also sehr gut, dass in kürzeren Wettkämpfen (z. B. Sprintdistanzen, 5 oder 10km-Läufen) bis zu 60 Minuten einer gezielten Kohlenhydrataufnahme während dem Rennen keine oder nur eine geringe Bedeutung zukommt. Bei einer Renndauer bis rund 2:30 Stunden (z. B. Mitteldistanzen, je nach Niveau Halbmarathon und Marathon) reichen zwischen 30-60g pro Stunde völlig aus. Die restliche Energie kann über normal gefüllte Glykogenspeicher abgedeckt werden.
Geht die Belastungszeit jedoch darüber hinaus, sollte versucht werden, möglichst die maximale vom Körper resorbierbare Kohlenhydratmenge zu konsumieren. Diese liegt bei 90g pro Stunde und setzt sich aus Glukose und Fruktose zusammen.
Nach ACSM (American College of Sports Medicine)
Run 1
Am Sonntagmorgen stand ich bereits um 7:30 Uhr in der Wechselzone. Prompt begann es um 8 Uhr wie aus Kübeln zu Regnen. Trotzdem kümmerte mich das zu dem Zeitpunkt nicht mehr, da mein Rennplan inkl. Material und Ausrüstung feststand: Ich hatte anstelle einer Regenjacke ein Thermohemd unter dem Rennanzug und von Beginn weg die Armlinge an. So war ich dann auch extrem ruhig, da ich überzeugt war mit dem richtigen Setting unterwegs zu sein. Ich war einfach froh, dass es um 9 Uhr endlich losging. Ich stellte mich auf einen ultraschnellen ersten Lauf ein und prompt zerfiel das Feld bereits beim ersten Anstieg in seine Einzelteile. Ich konnte als 8er gerade noch die hinterste Position halten und versuchte so gut es ging einen anständigen Rhythmus zu finden. Nach der ersten Runde und dem Durchlaufen der Arena bereitete ich mich innerlich bereits auf eine ultraharte zweite Runde vor, war aber gewillt in den dunkelroten Bereich zu laufen. Wusste ich doch, dass es extrem wichtig sein würde, in einer Gruppe auf das Velo zu kommen.
Im zweiten Aufstieg musste ich mit Fabian Zehnder und dem späteren Weltmeister Seppe Odeyn etwas abreissen lassen und kassierte so 40 Sekunden auf die Spitze. Der Wechsel gelang nicht ganz optimal und so verlor ich ein paar Sekunden auf Zehnder und Odeyn, welche ich beim Aufstieg nach Mühlethal sogleich zufahren wollte.
Als Letzter konnte ich mich gerade noch in der Spitzengruppe halten. Dahinter klaffte bereits eine Lücke von 1 Minute.
Bike
Da ich mich auf eine solche Rennsituation vorbereitet hatte, wusste ich, dass ich nun genau zwischen 20-30 Minuten „überpacen“ darf, dann aber zwingend rausnehmen muss um mich nicht gegen die Wand zu fahren.
Schlussendlich hatte ich den Anschluss an die beiden mit einem ziemlichen Kraftakt hergestellt und merkte, dass wir nun auch an die Spitzengruppe heranfuhren. Bereits war der Kamerafahrer neben uns und das Führungsfahrzeug in Sicht, als die Steigung zum Wiliberg begann. Genau in diesem Moment wurde aber vorne dermassen auf das Tempo gedrückt, dass Zehnder und ich nun definitiv abreissen lassen mussten. Innerlich fluchte ich zwar, erkannte aber auch die Chance zu zweit mit einem Schweizer Teamkollegen die verbleibenden 120 Kilometer zu bestreiten.
Nach den Abfahrten wurden aber auf der Fläche bereits wieder Wattwerte gedrückt, von welchen ich schnell wusste, dass ich sie nicht mitgehen wollte. So pendelte ich mich schlussendlich bei meinem angepeilten Pacing ein und zog meinen eigenen Rhythmus weiter. Kurz vor Ende der ersten Runde fuhr ich an Zehnder vorbei, der rund 20 Sekunden vor mir liegend in einer Unterführung gestürzt war und das Rennen leider aufgeben musste. Da ich aber sah, dass mehrere Personen bei ihm waren fuhr ich nach einem kurzen Zögern weiter.
Ganze 100km fuhr ich alleine im Regen. Glücklicherweise absolvierte ich diesen Sommer die eine oder andere Regenfahrt.
Die zweite Runde ist schnell erzählt: Ich fuhr an vielen Shortdistance-Athleten vorbei, konnte mich voll und ganz meiner Verpflegungsstrategie widmen und sehr kontrolliert meine Watt drücken. Nach ca. 85km überholte ich dann den Franzosen Yannick Cadalen und war so zwischenzeitlich auf dem 7. Rang. Die Beine waren zu dem Zeitpunkt immer noch hervorragend, einzig die Kälte machte mir nun mehr und mehr zu schaffen.
Vom Nationaltrainer wurde ich auf die letzte Runde geschrien, merkte dann aber bereits in Mühlethal eine Veränderung: Wattwerte über 300 waren kein Selbstläufer mehr und in den Abfahrten war ich vor Kälte nur noch am Schlottern. Es wurden sehr einsame und sehr kalte Kilometer, ausser den Streckenposten und ein paar Zuschauern war nicht mehr viel los. Als ich bei Kilometer 100 erfuhr, dass der Rückstand auf die Spitze bei rund 5 Minuten lag empfand ich dies jedoch als gutes Zeichen. Auch von hinten war weit und breit kein Verfolger zu sehen. Die letzte Abfahrt vom Wiliberg und den anschliessend mehrheitlich flachen Kilometern wurden dann zu einer einzigen Tortur. Ich fror unglaublich, die Beine wurden langsam taub und die von der Kälte völlig verkrampfte Nackenmuskulatur machte die Aeroposition extrem schmerzhaft. Ich versuchte so gut es ging einen regelmässigen Rhythmus zu fahren, wenn auch die Wattwerte nicht mehr allzu hoch waren. Rund 2km vor dem Ende der Radstrecke schloss dann von hinten Richard Lustenberger zu mir auf. Gemeinsam gingen wir in die Wechselzone, wechselten ein paar Worte, klatschten uns kurz ab bevor sich dann jeder auf die abschliessenden 25 Laufkilometer begab.auf
Run 2
Ich ging mit einem eher vorsichtigen Tempo ans Werk und wollte auf die Karte Regelmässigkeit setzen. Lustenberger seinerseits überholte mich gleich nach dem Wechsel wieder und zog davon. Zwischenzeitlich musste ich anhalten und dehnen, da sich nun von allen Seiten Krämpfe bemerkbar machten.
Trotzdem gelang es mir einen einigermassen guten Rhythmus zu finden, wenn auch die Höhenmeter und der matschige Untergrund es unglaublich hart machten. In der zweiten Runde, als ich mich zum zweiten Mal an den Aufstieg machte konnte ich mir erstmals einen Überblick auf die hinter mir liegenden Athleten verschaffen. Da war der Italiener Marco Corti, der plötzlich unglaublich aufdrehte und auch der Teamkollege Michael Ott sah noch super aus. Prompt überholte mich Corti kurz vor der letzten Runde und auch Ott kam näher und näher. Mein Magen konnte zu dem Zeitpunkt keinen Gel mehr aufnehmen, was mich dazu brachte mir einen letzten Zuckerschub mit Cola zu holen. Familie und Freunde pushten mich nochmals den Berg hoch und plötzlich kam tatsächlich sowas wie ein kleiner Energieschub. Durch einen Streckenposten bekam ich mit, dass der Rückstand auf Lustenberger nicht mehr allzu gross war und prompt kam er auf einmal wieder in Schlagdistanz. Gleichzeitig sah ich Ott von hinten heranlaufen was mich in eine Zwickmühle brachte: all in nach vorne oder verteidigen nach hinten. Wahrscheinlich war es dann etwas dazwischen, denn an den Positionen änderte sich nichts mehr.
Schnell war der abschliessende Lauf nicht mehr – zu Beginn auf dem Velo hatte ich zu viele Körner verbraucht, welche mir hier nun fehlten. Eine wichtige Erfahrung.
Auf jeden Fall lief ich nach 6:40 Stunden auf dem 10. Rang ein, in einem schlichtweg verrückten Rennen. Ich hätte nach der Ziellinie keinen Schritt weiterlaufen können.
Es war schlussendlich ein Ausscheidungskampf bei 6 Stunden Dauerregen, 11 Grad Lufttemperatur und einer sehr selektiven Strecke. Mein erster Satz meiner Frau gegenüber war: „Ich bin unterwegs 100mal gestorben“. Der Top10-Platz war sensationell, zu diesem Zeitpunkt war mir jedoch das Wichtigste überhaupt ins Ziel gekommen zu sein.
Der Zieleinlauf kam einer Erlösung gleich. Nach 6:40 Stunden überquerte ich die Ziellinie auf dem 10. Rang.
Von Zofingen in die Off-Season
Es ist für mich schwierig in Worte zu fassen, was in diesem Moment alles für Emotionen aufkamen. Von Himmel bis Hölle war von allem etwas dabei. Ein grosser Dank geht an swissduathlon, welche mir die Möglichkeit gab mich im Elite-Feld zu beweisen. Als Teil eines starken Schweizer Teams diesen Tag bestreitet zu haben macht mich stolz und dankbar zugleich. Herzliche Gratulation dem Teamleader Jens-Michael Gossauer, welcher in diesem denkwürdigen Rennen erneut Vizeweltmeister wurde!
Mein grösster Dank gebührt meiner Frau Nadia! Sie hat mich vor und während dem Rennen begleitet, hat mitgelitten und die ganze Anstrengung mitgetragen.
Nun ist es Zeit für die Offseason. Zeit für viele andere Sachen ausser geordnetem Training.
Bilder: alphafoto.ch und eigene