Saisonfinale in Zofingen: Langdistanz WM

Saisonfinale in Zofingen: Langdistanz WM

Ready für die WM

Es gab in diesem Jahr vermehrte Ausflüge in den Triathlon, welche jedoch ein Ziel hatten: Die Duathlon-WM in Zofingen adäquat vorzubereiten. Die grösseren zeitlichen Investitionen machten sich an diversen Parametern und Resultaten bemerkbar und zeigten mir deutlich, dass ich in diesem Jahr leistungsmässig einen Schritt vorwärts gemacht habe. Diese Gewissheit gab mir im Vorfeld der WM eine extreme Ruhe, so dass sich die Nervosität verhältnismässig spät meldete.

Ich hatte die Ehre, die Schweiz zum dritten Mal bei der Elite vertreten zu dürfen und fühlte mich dafür physisch auf den Punkt bereit. Mental verspürte ich nach der langen Saison mit mehreren «grossen» Wettkämpfen zwar eine gewisse Müdigkeit, was die Motivation und Überzeugung jedoch in keiner Art und Weise schmälerte.

Ich schielte in den Tagen zuvor mit etwas Besorgnis auf die Wetterprognose. Die angekündeten warmen/heissen Bedingungen hatten mich in der Vergangenheit schon verschiedentlich in die Knie gezwungen, weshalb ich mir nebst der Adaptation auch eine klare Kühlstrategie zurechtlegte.

Das 21 Mann grosse Starterfeld bei der Elite war enorm stark besetzt und es versprach ein ultraschnelles Rennen zu werden. Aufgrund meiner guten Form traute ich mir mit einem absolut perfekten Rennen ein Ergebnis in den Top10 zu. Mir war jedoch völlig bewusst, dass dafür einiges zusammenpassen musste und ich keinerlei Schwäche zeigen durfte.

Die Athletenpräsentation kurz vor dem Start: Eine Ehre, sich neben der Weltspitze in der ersten Reihe aufstellen zu dürfen.

1. Lauf, 10km, 190 Höhenmeter

Zofingen ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Sei es die selektive Streckenführung, das Weltklasse-Feld sowie die Aura, welche vor dem Start herrscht. Es ist definitiv kein normales Rennen, sondern eines, welches immer viele unbekannte Variablen bereithält. Ich kann es auch jedem Triathleten nur empfehlen, an diesem einzigartigen Rennen teilzunehmen.

Eine Premiere erlebte ich in Form der Startnummer: Mit der Nummer 5 durfte ich mich erstmals ganz vorne in der ersten Linie aufstellen. Zu diesem Zeitpunkt war mein Kopf leer und ich verspürte rein gar nichts mehr.

Von Beginn weg wurde ein horrendes Tempo angeschlagen. Meine Taktik sah einen harten aber kontrollierten Start vor, was nahezu perfekt gelang. 

Ich habe in den vergangenen Jahren schon einiges erlebt, dass aber an einer Langdistanz-WM so abartig hart angelaufen wurde, war mir neu. Auf der angepassten Streckenführung ging es nicht gleich in den Hügel hinein, sondern eher flach und leicht ansteigend los. Mit einer 3:06 auf dem ersten Kilometer war ich trotzdem bereits im letzten Viertel des Feldes platziert. Das bereitete mir jedoch keine Sorgen, da ich den ersten Lauf so locker wie nur möglich anlaufen wollte. Daher lief ich weiterhin ziemlich entspannt mein Tempo weiter. Hinter mir reihte sich der Teamkollege Ben Ueltschi ein, welcher die WM ein erstes Mal bestritt. Nach 4km drehte ich mich zu ihm um und signalisierte ihm, dass die vor uns laufenden Athleten ein super Sprungbrett für die Velostrecke wären und wir uns daran orientieren sollten. Er machte mir ein Zeichen, dass er nach einer Runde aussteigen will, da er sich offensichtlich nicht gut fühlte. Ich versuchte im kurz und knapp zu sagen, dass er unbedingt dranbleiben soll und der Tag noch lange werden würde. Trotzdem war ich kurz später allein unterwegs. 

Auch nach 8km gute Beine und ein gutes Tempo. Trotzdem ging hier bereits eine grosse Lücke zur Spitze auf.

Weiterhin konnte ich mein Tempo sehr gut und kontrolliert durchziehen, in T1 einen superschnellen Wechsel vollziehen und kam auf Position 16 auf das Bike. Auch als ich erfuhr, dass der Rückstand nach den 10km auf die Spitze bereits 1:50min betrug wurde ich nicht gross nervös, sondern behielt den Fokus bei mir.

Bike, 146.5km, 1700 Höhenmeter

Ich hatte einen trainingstechnisch grossartigen Sommer mit vielen und guten Radkilometern in den Beinen. Die erarbeitete Form sollte sich nun also beim Saisonhöhepunkt ausbezahlen.

Aus den letzten Jahren zog ich zudem meine Lehren und ging den ersten Aufstieg in Richtung Mühletal so defensiv wie nur möglich an. Dennoch fuhr ich bald zu Fabian Zehnder auf und liess umgekehrt nach ca. 15km den Holländer Wout Driever ziehen. Ich wollte mich auf keinen Fall in irgendwelche «Himmelfahrtskommando-Aktionen» verwickeln lassen. 2021 sowie 2022 hat es mich nach zwei Runden grausam aufgestellt – aus Erfahrungen sollte man ja eigentlich lernen. Es kam leider trotzdem alles total anders als geplant.

Beim nächsten Mal werde ich bei dieser Sonneneinstrahlung wohl mit einem normalen Helm fahren. Einmal mehr konnte ich mit den sehr warmen Bedingungen offenbar nicht umgehen, was die normalen Leistungswerte bereits nach 75km in sich zusammenstürzen liess.

Ich wollte es wahrscheinlich nicht wahrhaben, aber ich fühlte recht schnell, dass ich nicht den Druck auf die Pedale brachte, den ich mir gewohnt bin und das Aufwand-Ertrag-Verhältnis nicht passte.
Dennoch konnte ich mit Zehnder noch in der ersten Runde den Franzosen Cédric Labadens sowie den Südafrikander James McCallum stellen und gleich abschütteln. Gleichzeitig klappte auch die Verpflegung hervorragend und rein objektiv sah die Welt zu dem Zeitpunkt gut aus. Von meinen Supportern erhielt ich zuverlässig die Infos mit dem Rückstand auf die Spitze. Nach einer Runde hatten wir zwar bereits eine Hypothek von über 5min da vorne schlicht überirdisch gefahren wurde.

Auf der 2. Runde fuhren wir dann zu weiteren Konkurrenten auf, kickten kurz das Tempo und liessen sie sofort stehen. Bei der Abfahrt vom Wiliberg in Richtung Reiden musste ich zweimal wegen Shortdistance-Athleten ziemlich auf die Bremse stehen und verpasste prompt den Abgang von Zehnder. Dieser liess mich zwar in der Fläche nochmals aufschliessen, trotzdem spürte ich nun bereits eine deutliche Ermüdung. Wohlverstanden, ich befand mich zu dem Zeitpunkt bei km75, also der Rennhälfte. Es war nun ein mentales hin und her: Ich bekam die Info, dass wir die Lücke zu Jens Gossauer (welcher leider nach 2 Velorunden als bester Schweizer verletzungsbedingt aussteigen musste) ziemlich rapide zufuhren, auf der anderen Seite fühlte ich mich schlichtweg leer.

Kurz später beschloss ich, Zehnder ziehen zu lassen. In diesem Moment realisierte ich nun deutlich, dass ich hier und heute leider nicht in der Lage war, meine Leistung abzurufen. Spürte ich in den letzten Jahren den Einbruch bei 90km, so kam er in diesem Jahr bereits 15km früher. Allein diese Erkenntnis tat in dem Moment weh. Ich verlor dadurch total den Fokus und war kurz davor mich selbst aufzugeben. Aus irgendeinem Grund fand ich mich dann plötzlich auf der letzten Runde wieder. Trotz des permanenten Kühlens, Verpflegen und Trinkens ging nun gar nichts mehr. Ohne Gegenwehr musste ich zwei Franzosen an mir vorbeiziehen lassen und ich kämpfte nun allein mit meinen Dämonen. Das, was mich wahrscheinlich bis in die Wechselzone brachte, war der Gedanke an die Leute, welche extra wegen mir nach Zofingen gekommen waren.

Kurz vor der Wechselzone sah ich den Schriftzug «Michu» am Boden. Zu dem Zeitpunkt war ich der Überhitzung wahrscheinlich ziemlich nahe.

Kurz vor T2 hörte ich plötzlich eine Gruppe meinen Namen schreien und auf dem Boden sah ich mit Kreide aufgemalt «Michu» stehen. «Wenn ihr wüsstet, wie scheisse ich mich gerade fühle…», dachte ich nur. Aber dennoch gab mir dies nochmals einen kleinen Kick.

Ich stolperte irgendwie durch die Wechselzone, realisierte, dass ich bei meinem Wechsel noch gefilmt wurde und begab mich schliesslich auf den 25.7km langen 2. Lauf.

2. Run, 25.7km, 400 Höhenmeter

Es galt nun 4 Runden von knapp 6.5km und ordentlich Höhenmeter zu absolvieren. Der Lärm in der Arena beim Herauslaufen kam mir ohrenbetäubend vor. Ich hatte keine Ahnung auf welchem Rang ich mich zu dem Zeitpunkt befand und wer überhaupt noch im Rennen war. Ich hielt zu Beginn zweimal an, eigentlich auch hier mit der Idee auszusteigen. Zweimal lief ich jedoch weiter. Nach einem gelaufenen Kilometer blinkte die Uhr bei 4:06min/km auf, was ich beinahe nicht für möglich hielt. Nachdem ich kurz darauf vom späteren Sieger Simon Jörn Hansen (welcher ein absolut überragendes Rennen zeigte!) überrundet wurde, fand ich sowas wie einen Rhythmus. In der Folge pendelten sich die Kilometerzeiten auf diesem selektiven Kurs zwischen 4:20-4:40min/km ein. Wahrscheinlich war es die Erkenntnis, die anvisierte Pace laufen zu können, welche mich im Rennen hielt. Plötzlich wurden die Beine tatsächlich besser und der Glaube an den Zieleinlauf kam zurück. Jeweils bei der Start/Ziel-Passage stand der Nationalcoach Cameron Lamont, welcher mir meine Liquid Ice-Flasche und zusätzlich Crushed Ice aushändigte. Die Kühlung zeigte Wirkung und ich fand immer wie besser ins Rennen. Ich erhielt von irgendwo her die Info, dass ich im Vergleich zu den unmittelbar vor mir liegenden Kontrahenten sogar leicht Zeit gut machte.

Der 2. Lauf zeigt deutlich, dass es auf dem Bike nicht ein energetisches Problem bzgl. Kohlenhydrataufnahme war. Plötzlich lief der Motor wieder.

Mit den Schweizer Kollegen Zehnder und Lustenberger gab es jeweils einen kurzen Handschlag, wenn wir auf der Strecke aneinander vorbeiliefen. Jeder war ziemlich in seinem eigenen Film unterwegs.
Der bis dahin unbekannte «Michu-Fanclub» (im Nachhinein erfuhr ich, dass es die Crew meiner Teamkollegin Ramona Rieder war, welche mich nun ebenfalls lauthals unterstützte) stand beim Heitere-Platz oben und pushte mich zusätzlich an.

Kurz bevor ich ein letztes Mal den höchsten Punkt der Strecke erreichte, passierte es dann doch noch: mir flog eine Fliege mitten in den Mund. Normalerweise wäre das kein Problem, nicht so unter diesen Umständen. Der Körper verselbständigte sich und ich musste mich nach mehrmaligem Würgen schliesslich übergeben. Die Minute, welche ich hier liegen liess, nervt mich allerdings weniger als die idiotischen Aufschreie von irgendwelchen Leuten am Streckenrand, welche die Situation zu amüsieren schien. Falls ihr das hier lesen solltet: Haltet künftig die Klappe und wertet nicht über etwas, wovon ihr keine Ahnung habt!

Bis auf die unfreiwillige und unnötige «Kotzpause» klappte auf den letzten Kilometern alles wunschgemäss.

Ich brauchte einen Moment, bis sich alles wieder etwas beruhigt hatte und lief dann weiter. Die letzten Kilometer sind bekanntlich die Mühsamsten, so auch hier. Ich sah ein, dass ich niemanden mehr überholen werde und war froh, endlich bzw. doch noch ins Ziel zu kommen. War ich während des gesamten Rennens ohne Krämpfe durchgekommen, machten sich diese plötzlich auf den letzten 100m doch noch bemerkbar. Der Hamstring war total zu und ich musste eine weitere Gehpause einlegen.

Vor den Augen des Nationaltrainers Cameron Lamont bekam ich 100m vor dem Ziel tatsächlich noch Krämpfe im Hamstring, was das Laufen verunmöglichte. «Heute bleibt echt nichts erspart», sagte ich ihm beim Vorbeirennen.

Nach 6:40 Std., auf dem 14. Platz bei der Elite, lief ich als zweitbester Schweizer also doch noch im Ziel ein – erleichtert und mit meinen Gedanken ziemlich weit weg. Notabene gab es im Elitefeld sechs DNF. Während ich mir im letzten Jahr bald nach meinem Finish schnell wieder Gedanken gemacht habe, wo man was wie optimieren könnte und schon bald das Projekt «Zofingen 2023» vorbereitete, so bleibt in diesem Jahr erst einmal eine ziemliche Leere.

Ein zwiespältiges Gefühl welches sich beim Zieleinlauf breitmachte. Und trotzdem merkte ich einmal mehr, wie ich diesen Sport liebe.

Viele Personen aus meinem Umfeld fragten mich, ob ich enttäuscht sei. Eine gute Frage… wirklich enttäuscht bin ich über meinen Totaleinbruch auf dem Bike und darüber, dass ich all diese vielen guten Trainingsstunden nicht in das Geplante umwandeln konnte. Und auf der anderen Seite bin ich auch etwas stolz, dass ich mich kurz vor der Kapitulation mit einer ansprechenden Laufleistung zurückgekämpft habe. Auch wenn es schwer vorstellbar ist: Es war trotzdem über das Ganze betrachtet die wohl beste Leistung in Zofingen.

Meinen Supportern (allen voran meiner Frau und meiner Mutter) welche mich durch den Tag begleitet haben, gebührt ein grosses Merci! Danke auch an Roger, Marco & Caro für die Unterstützung am Streckenrand. Ebenso dem Nationaltrainer Cameron Lamont, welcher zuverlässig an Ort und Stelle war sowie meinem Trainer Mario Schmidt-Wendling für die Vorbereitung.

Der grösste Dank geht an meine wunderbare Frau Nadia. Sie hat Seite an Seite mit mir diese lange Saison bestritten und war überall mit Leib und Seele dabei. Ohne diesen einmaligen Support würde nichts gehen. Notabene ist sie auch nicht ganz unschuldig, dass ich mit dem Schwimmen begonnen habe… 😉

Es war overall betrachtet eine erfolgreiche und damit gute Saison, auch wenn ich in Zofingen nicht das zeigen konnte, was ich mir fest vorgenommen habe.

Wie dem auch sei: Mit Zofingen bleibt eine Rechnung offen – aber nicht heute. Der Kopf braucht nun Ruhe.

Merci viumau, Nadia!

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