Training nach Herzfrequenz – Sinn und Unsinn

Die Interpretation der eigenen Herzfrequenz kann bei Athleten teilweise zu Missverständnissen führen. Deswegen fasse ich hier die wichtigsten praktischen Punkte zur korrekten Anwendung der Herzfrequenz im Training zusammen.

Die Herzfrequenz repräsentiert die Ausbelastung

Das Herz ist verantwortlich, dass Blut über die Arterien in die Kapillaren (Blutgefässe) zum Muskel kommt und diesen mit Sauerstoff versorgt. Ohne Sauerstoff keine Leistung.
Nun gibt es eine Vielzahl von Einflussfaktoren, welche die Leistungsfähigkeit des Herzkreislaufsystems beeinflussen. Ein paar davon sind:

  • Grösse und Stärke des Herzens
  • Herzschlagvolumen
  • Blutvolumen
  • Kapillarendichte

Vereinfacht gesagt wirkt sich sportliches Training, insbesondere aber Ausdauertraining, auf diese Faktoren aus und zwingt den Körper, ökonomischer zu arbeiten. Eine Senkung des Pulses bei gleicher Leistung kann daher als Trainingsfortschritt betrachtet werden.

Die folgende Grafik zeigt genau diese Veränderung auf.

Die Herzfrequenz ist ein Gradmesser des eigenen Fitnesszustandes. Ein Trainingsfortschritt zeigt sich durch ein erhöhtes Schlagvolumen, eine tiefere Ruheherzfrequenz und eine bessere Leistung bei gleichbleibender Herzfrequenz.
Quelle: Training fundiert erklärt, Hegner, 2020

Die Herzfrequenz ist individuell

Die maximale Herzfrequenz, sowie davon abgeleitete Trainingszonen sind absolut individuell und können nicht verallgemeinert werden. Faustformeln für die Erfassung der maximalen Herzfrequenz sind zwar grobe aber oft sehr ungenaue Schätzwerte. Um die HFmax zu ermitteln, ist es am besten  einen All-Out-Test zwischen 3-5 Minuten zu machen. Dabei sollte die Ausbelastung immer in der entsprechenden Sportart durchgeführt werden. Denn nicht überall erreicht man unter voller Ausbelastung den gleichen Maximalpuls. Je grösser der Anteil der beteiligten Muskulatur in einer Sportart ist, umso mehr Sauerstoff muss im Blut in die Muskelzelle transportiert werden. Das wiederum bedeutet eine mehr oder weniger grosse Ausbelastung des Herzens.

Die Ruheherzfrequenz verändert sich

Die Ruheherzfrequenz ist ein wichtiger Indikator für die kardiovaskuläre Gesundheit und den aeroben Fitnesszustand. Dabei handelt sich um die Anzahl der Herzschläge pro Minute, wenn sich der Körper in einem ruhigen Zustand befindet, wie im Sitzen oder Liegen. Optimalerweise wird die Ruheherzfrequenz am Morgen, direkt nach dem aufwachen gemessen. Eine niedrige Ruheherzfrequenz kann ein Indikator für eine gute kardiovaskuläre Fitness sein, während eine hohe Ruheherzfrequenz auf eine schlechtere Fitness hindeuten kann oder auch Hinweise über einen sich anbahnenden Infekt sowie mangelnde Erholung gibt. Wirkt zu lange und zu viel (Trainings)stress auf den Körper ein, zeigt sich das über eine erhöhte Ruheherzfrequenz. Ein Sinken der Leistungsfähigkeit wird die Folge sein.

Tipps zur Messung der Ruheherzfrequenz

  • Um eine Baseline zu erhalten, empfiehlt es sich, die Ruheherzfrequenz in einer «normalen» Trainings- und Arbeitswoche jeden Morgen immer zur gleichen Zeit und unter den gleichen Bedingungen zu messen.
  • Am besten direkt nach dem Aufwachen und ohne dem ersten Kaffee messen.
  • Am Besten wird der Puls mittels HF-Sensor erfasst. Etwas ungenauer ist die Messung mittels Zeige- und Mittelfinger am Handgelenk oder Hals. Zähle dort die Schläge für 15 Sekunden und multipliziere diese mal vier. So erhältst du die Anzahl Schläge in einer Minute.

Koffein ist ein Supplement, welches mit einer guten Evidenz gestützt wird und die Leistung in gewissen Situationen positiv beeinflussen kann. Durch die Stimulation des vegetativen Nervensystems erhöht sich auch die Herzfrequenz. So wird beispielsweise der Puls bei einem Dauerlauf tendenziell höher ausfallen, wenn zuvor ein Espresso getrunken wurde.

Wieso ist mein Puls nicht jeden Tag gleich?

Es gibt einige Faktoren, welche den Puls beeinflussen und verantwortlich sind, weshalb dieser nicht jeden Tag genau gleich sein kann. Folgend sind die wichtigsten Gründe genannt:

  • Lufttemperatur
  • Koffeinkonsum
  • Voller Magen
  • Mangelnde Erholung
  • Erhöhter Stress
  • Erhöhter Alkoholkonsum am Vortag
  • Höhe

All diese Aspekte werden den Puls ansteigen lassen. Das kann oftmals irritierend sein für den Athleten, da er dies als schlechte Form oder Stagnation deutet. Daher ist es wichtig, nicht von einem Training auf die Gesamtform zu schliessen und sich bewusst zu machen, dass die Herzfrequenz ein sehr sensibler Parameter ist.

Weshalb erreiche ich meine maximale Herzfrequenz plötzlich nicht mehr?

Wird die maximale Ausbelastung des Herz-Kreislauf-Systems nicht mehr erreicht, kann dies unter anderem (z. B. Medikamente) auf ein Übertraining hindeuten. Zugrunde liegt dabei ein Ungleichgewicht des autonomen Nervensystems. Dabei funktioniert das Zusammenspiel zwischen Aktivierung (Sympathikus) und Erholung (Parasympathikus) des Körpers nicht mehr reibungslos. Oder um es in einem Bild auszudrücken: Die Bremse (Parasympathikus) kann nicht richtig gelöst werden, was die volle Geschwindigkeit schlichtweg verunmöglicht.

Die Folge davon muss eine kritische Überprüfung der Belastung und Erholung sein. Akut sollte der Trainingsload heruntergeschraubt oder gar eine Pause eingelegt werden, in welcher ein Augenmerk auf Schlaf und Ernährung gelegt wird.

Intervalle nach Puls steuern

Immer wieder stellt sich bei Athleten die Frage, ob Intervalle nach Puls oder Tempo bzw. Watt absolviert werden sollen. Ich denke, eine Antwort darauf findet sich in der Art der Intervalle.

Meine persönliche Regel

Je kürzer die Intervalle, umso mehr nach Tempo/Watt und RPE (subjektivem Gefühl) orientieren. Beispiel: intensives Intervall 10x 30’’ hart / 30’’ sehr locker

Je länger die Intervalle (oder Dauerbelastungen), umso mehr nach Puls orientieren.
Beispiel: extensives Intervall 3x 10’ zügig / 4’ locker, Dauerlauf

So wird ein Athlet bei einem intermittierenden Intervall von 10×30’’ hart /30’’ locker gar nicht oder erst gegen Ende der Serie in den Pulsbereich kommen, der eigentlich nach vorangegangener Diagnostik dieser Leistung entsprechen würde. Der Grund dafür ist die zu kurze Belastungszeit. Orientierst man sich nur nach dem Puls läufst du in die Gefahr, die Intervalle viel zu hart zu absolvieren, um den Puls möglichst schnell hochzubringen. Um die «Time in Zone» (Puls im richtigen Bereich) zu erhöhen, gibt es andere, bessere Tricks.

Bei längeren Intervallen und Dauerbelastungen ist der Puls jedoch ein hervorragendes Mittel, um die eigene Leistung zu kontrollieren und nicht zu schnell zu werden.

Dauerbelastungen würde ich jederzeit mit dem Puls inkl. dem subjektiven Gefühl steuern. Dies erlaubt es dem Athleten auch, die eigene Tagesform mit einzubeziehen und sich nicht zu stur im immer gleichen Bereich der Trainingszone aufzuhalten. Ein guter Tag erlaubt daher bspw. ein Trainingstempo im oberen Bereich der Zone, während man sich an einem eher trägen Tag am unteren Bereich orientieren kann. Beides bei gleicher Herzfrequenz.

Das Training: 14 x 35» Schwelle/20» GA1. Es ist gut zu erkennen, dass die Herzfrequenz erst beim vierten Intervall in die gewünschte Zone kommt. Dafür ist die Herzfrequenz beim anschliessenden langen GA1-Teil etwas zu hoch, was in diesem Fall der Vorermüdung und den hohen Temperaturen geschuldet ist. Hier wäre ein Senken der Leistung eine gute Variante gewesen um den Puls wieder in den gewünschten Bereich zu bringen.

Fazit

Die Herzfrequenz ist nach wie vor einer der wichtigsten Parameter im Ausdauertraining. Sie verrät einem Athleten viel über den eigenen Trainingszustand und gibt zudem Hinweise über die Gesundheit. Allerdings muss sich der Athlet immer bewusst machen, dass der Puls vielen exogenen und endogenen Einflüssen ausgesetzt ist, was einem zu Fehlinterpretationen verleiten kann. In Kombination mit dem RPE und objektiven Daten wie Tempo und Watt gelingt eine optimale Trainingssteuerung.