Wahrscheinlich kennen das die meisten ambitionierten Athleten/innen, welche nicht als Profi unterwegs sind: Der vermeintliche Trainingsalltag ist ein ständiger Balanceakt Einheiten, berufliche und soziale Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen. Ich erlebe es in meiner Arbeit als Coach/Trainer immer wieder, dass trotz aller Liebe und Leidenschaft für den Sport das alltägliche Leben schlussendlich den Takt vorgibt und sich die Trainings danach zu richten haben. Diese potenzielle Schieflage führt neben einer Portion Frust oft auch zu einer übermässigen Akkumulation von Ermüdung – sowohl physisch als auch mental. Wer es schafft, diese Herausforderungen vorausschauend zu managen, kann nebst einer Leistungsoptimierung auch langfristig gesund und motiviert bleiben. In diesem kurzen Blog gehe ich der Frage nach, wie man Ermüdung erkennt, minimiert und gleichzeitig den bestmöglichen Trainingsfortschritt sicherstellt.
Das «Dreieck der Ermüdung»
Im Wesentlichen stelle ich im Trainingsprozess mit Amateur-Athleten oft ein Dreieck der folgenden «Stressoren» fest, welche schlussendlich auch zu Ermüdung führen: Es sind dies Training, Beruf und soziales Umfeld.
Training
Als Athlet bewegt man sich oft an der Grenze der körperlichen Belastbarkeit. Lange Ausdauereinheiten, Intervalltraining oder Krafteinheiten setzen den Körper unter Stress, um eine Trainingsadaptation auszulösen. Das Training ist insofern der Auslöser für den Fortschritt, aber auch eine Hauptquelle von physischer Ermüdung.
Beruf
Die beruflichen Anforderungen – sei es ein stressiger Büroalltag, Schichtarbeit oder Reisen – belasten den Geist. Berufliche Deadlines und ein hektisches Arbeitspensum können Erholung und Regeneration beeinträchtigen.
Soziales Umfeld
Freunde, Familie und soziale Verpflichtungen sind essenziell für die mentale Gesundheit und positive Emotionen. Sie können jedoch Zeit und Energie fordern, die man möglicherweise für Training und Regeneration benötigt.

Dreieck der alltäglichen Stressoren. Diese werden vielleicht nicht immer als solche empfunden, können aber eine entsprechende Auswirkung auf den Leistungs- und Gemütszustand haben.
100% Energie muss verteilt werden
Es ist also gut zu erkennen, dass sich ein Athlet fast fortlaufend in einem bestimmten Spannungsfeld befindet. So sind trainingsfreie Tage eben nicht unbedingt auch Erholungstage, da je nachdem andere Verpflichtungen warten. Man muss sich vergegenwärtigen, dass 100% der eigenen Energieverfügbarkeit (physisch, mental und emotional) auf verschiedene Lebensteile gesplittet und verteilt werden muss. Wichtig ist dabei, dass man mit dem Kopf versucht im Augenblick zu sein und die Energie auch wirklich dort investiert. Das heisst: Wenn Trainingszeit ist, drehen sich die Gedanken um das Training und wenn Familienzeit ist, liegt der Fokus auf der Familie. Mir ist völlig klar, dass sich dies nicht immer ganz trennen lässt – versuchen kann man es dennoch.

Ganz wichtig: Das sind Beispielverteilungen, deren Gewichtung ich völlig wertfrei meine. Damit versuche ich lediglich aufzuzeigen, dass sich 100% Energie nur aufteilen aber nicht vervielfachen lässt. Entscheidend ist jedoch, dass dort wo man sich physisch befindet auch die Gedanken bzw. die Aufmerksamkeit liegt.
Symptome von Ermüdung erkennen
Wenn dieses System Schieflage bekommt, ist es die Kunst, die Warnzeichen frühzeitig und auf verschiedenen Stufen zu erkennen und notfalls an einer der drei Säulen zu optimieren:
- Physische Ermüdung: Hohe Ruheherzfrequenz, maximale Pulsbereiche werden nicht mehr erreicht, ein niedriger Energielevel, schlechte Leistung im Training.
Lese zu dem Thema auch den Blogbeitrag «Bringt mehr Training mehr?». - Mentale Ermüdung: Konzentrationsprobleme, fehlende Motivation oder Stimmungsschwankungen.
- Emotionale Überlastung: Gefühl von Überforderung oder Frustration, der Gedanke an Training wird als Stress empfunden.
Die frühzeitige Identifikation dieser Symptome ist entscheidend, um eine Abwärtsspirale aus Übertraining, Burnout oder Verletzungen zu vermeiden.
Genau hier setze ich beispielsweise auch in der Trainingsplanung an: Macht ein intensives Intervalltraining nach einem langen Arbeitstag Sinn? Aus physiologischer Sicht vielleicht schon, aus emotionaler Perspektive vielleicht nicht. Wichtig ist zu verstehen, dass Physis und Psyche eng miteinander verbunden sind und eine Ermüdung des einen Teils immer auch den anderen beeinflusst. Daher sollte hier mit gesundem Menschenverstand gehandelt werden und nicht stur nach Trainingslehre. Weniger ist bekanntlich manchmal mehr.
Den Alltag als Teil vom Trainingsprozess
Du entscheidest, was in der aktuellen Lebensphase am wichtigsten ist. Wenn das grosse Saisonziel bevorsteht, kann man berufliche oder soziale Verpflichtungen versuchen zu reduzieren. Nach dem Hauptwettkampf stehen dann wieder mehr soziale Kontakte im Fokus. Ich empfehle hier auch immer eine gute Absprache mit dem/der Partner/in, Freunden und je nach sportlicher Ambition auch mit dem Arbeitgeber.
Im Folgenden möchte ich gerne ein paar persönliche Erfahrungen und die daraus resultierenden Empfehlungen mit auf den Weg geben:
Qualität über Quantität
Die Qualität eines Trainings schlägt die Quantität fast immer. Viel lieber über den Winter beispielsweise sechs gute Trainingsstunden, welche regelmässig durchgezogen werden können, anstatt durchgemurksten zehn Stunden. Oftmals endet das in Frustration oder einem angeschlagenen Immunsystem. Regenerationswochen bzw. -tage sollen auch wirklich regenerative Teile beinhalten und wenn möglich nicht nur ein Aufarbeiten von anderen Sachen.
Selbstverständlich haben je nach Saisonzeitpunkt eine Erhöhung des Trainingsvolumens oder längere Einheiten zu ganz klar ihre Daseinsberechtigung. Diese Phasen oder Tage sollten vorgängig geplant und entsprechend antizipiert werden.
Schlaf als Wunderwaffe
Ausreichender und qualitativ guter Schlaf ist die Grundlage für körperliche und mentale Regeneration. Zwischen 7–9 Stunden Schlaf pro Nacht sollten es wenn möglich sein. Es kann zudem helfen, sich fixe Schlafenszeiten zu setzen oder auch natelfreie Zeit vor dem Einschlafen zu gönnen.
Verpflegung vorbereiten
Versuche dich bei den «Wocheneinkäufen» auch immer gleich mit den notwendigen Sachen für das Training einzudecken. Ich beobachte regelmässig, dass im Alltag die Verpflegung vergessen geht bzw. keine Zeit dazu vorhanden ist. Achte darauf, dass du beispielsweise immer ein Notfallgetränk (Apfelschorle, Wasser), einen Gel und einen regenerativen Snack (Kohlenhydrat- oder Proteinriegel, Darvida, Nüsse) in deiner Trainingstasche dabei hast.
Soziale Energie gezielt nutzen
Plane bewusste Zeit mit Familie und Freunden, die dir Energie zurückgibt, statt sie zu rauben. Setze klare Grenzen, wenn dein Training Priorität hat, und kommuniziere dies offen. Auf der anderen Seite kann je nach Saisonzeitpunkt, eine gute Zeit mit Freunden auch mal mehr Energie zurückgeben als eine Trainingseinheit auf Biegen und Brechen durchzudrücken. Es ist bekanntlich die Ausnahme, welche die Regel bestätigt.
Ein kleiner Rückblick in das Jahr 2008: Ich war damals als junger Leichtathlet über die 400m Hürden aktiv und wollte in diesem Jahr die Limite für die U23-Europameisterschaft knacken, scheiterte jedoch trotz guten Trainings regelmässig. Nach einem weiteren verknorzten Rennen nahm ich mir ein paar Tage Auszeit und besuchte während drei Tagen das Gurtenfestival. Nach coolen Tagen und eher kurzen Nächten ging ich mehr oder weniger direkt vom Gurten an den nächsten Wettkampf wo ich die Bestzeit pulverisierte und die EM-Limite knackte. Natürlich funktioniert sowas nicht immer… 😉 Aber es zeigte mir auf eindrückliche Art und Weise auf, was ein paar Tage «Kopflüften» mental für eine Auswirkung haben kann und sich gleichzeitig auf die Körperspannung auswirkt.
Langfristig denken, Ermüdung zulassen
Man muss sich immer wieder vergegenwärtigen, dass eine Leistungssteigerung nicht unmittelbar und schon gar nicht linear vonstattengeht. Symbolisch betrachtet ist die Reise als Athlet ein Marathon, kein Sprint. Je nach Phase sind die Energiereserven höher oder tiefer. Das gilt es zu akzeptieren und in den Trainingsprozess miteinzubeziehen.
Deswegen: Ehrgeiz zeigen und trotzdem Freude haben, konsequent sein und trotzdem flexibel bleiben und zu guter Letzt: Das ganze sportliche Abenteuer auch etwas spielerisch betrachten.
In diesem Sinne wünsche ich euch allen weiterhin gute Trainings!